Vorbemerkung: Auf dieser Seite konzentrieren wir uns auf ein Verständnis von Rüstungsindustrie im engeren Sinne, im Sinne von der Herstellung militärischer Ausrüstung und Munition. Güter mit doppeltem Verwendungszweck („dual use goods“ / „dual use items“) liegen nicht im Focus.
Mehr als ein Jahrhundert lang prägte die Firma Henschel ( zeitweise „Henschel & Sohn“ oder „Henschel-Werke“ ; ab 1964 als AG ) die Kasseler Industrie, vielleicht sogar die ganze Stadt Kassel. KNDS und Rheinmetall sind nicht deren Rechtsnachfolger, aber sie bedienen die selben Kunden und ihr Beschäftigtenstamm ist weitgehend ähnlich. Henschel entwickelte ab 1960 einige Prototypen für den damals geplanten „Schützenpanzer Marder“. Für den Bau des „Marders“ wurde 1969 der Serienvertrag unterschrieben. Er beinhaltete die Lieferung von 2136 Stück des Panzers. Gebaut wurde er allerdings nicht von Henschel, sondern von den Firmen „Rheinstahl“ (Witten) und „Maschinenbau Kiel“.
Die gegenwärtig bedeutsamsten Rüstungsbetriebe in Kassel sind:
(1) KNDS N.V. (KMW and Nexter Defense Systems)
ehemals: Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG (KMW)
KNDS ist ein französisch-deutsches Unternehmen mit Sitz in Amsterdam.
Es steht auf dem 10. Platz der großen europäischen Rüstungshersteller: ca. 2,4 Mrd. Euro Umsatz pro Jahr (2020) und ca. 8300 Beschäftigte. Das Unternehmen entstand 2015 zur Hälfte aus dem staatseigenen französischen ‚Nexter‘ (der Hersteller des Panzers ‚Leclerc‘) und zur anderen Hälfte aus dem deutschen Rüstungsunternehmen KMW.
KMW (Kassel und München) produziert zu 100 % Rüstung. Der KMW-Umsatz im Jahre 2021 betrug 1,4 Mrd. Euro. In Kassel allein ca. 1500 Beschäftigte, darunter ca. 350 Entwickler / Ingenieure.
Gegenwärtig (im Jahre 2024) wird der Name „Krauss-Maffei Wegmann“ zunehmend durch KNDS ersetzt.
KNDS hat in Kassel (einschl. der Vororte) vier Standorte:
(1) Wolfhager Straße 32-40
200m Luftlinie von der Uni in der Wolfhager Straße auf der rechten Seite, hinter der langen Plakatwand. Der in 2022 begonnene Neubau soll 2023 in Betrieb gehen.
(2) August-Bode-Straße 1
In der Kurve der Wolfhager Straße direkt vor der Brücke auf der linken Seite (stadtauswärts). Schild mit KNDS-Logo, ansonsten recht unscheinbar.
(3) Wolfhager Straße 69
Die Gebäude liegen zwischen den beiden anderen, auf der linken Seite, stadtauswärts gesehen, an der Ecke Reuterstraße.
(4) Gewerbegebiet Ihringshausen-West in Fuldatal
Die letzte hier verfügbare Gewerbefläche (das Gelände neben dem Standort der Bundespolizei an der Niedervellmarschen Straße) wird z. Zt. mit drei zusammenhängenden Hallen bebaut. Bauherr und der spätere Vermieter ist die Firma Rudolph Logistik, Gudensberg. Im ersten Quartal 2025 wird KNDS diese ca. 28 000 qm mieten und dort sowohl ein weitgehend automatisiertes Hochregallager als auch ein Großteillager betreiben.
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Die Eigentümer des deutschen Anteils an KNDS fungieren als stille Teilhaber. Sie alle sind Mitglieder der Familien Bode, Sethe, Glinicke und von Braunbehrens. Zusammengelegt ergab das Vermögen dieser Familien im September 2023 den Wert von 1,8 Mrd. €. (Im Vorjahr lag der Wert noch bei 1,3 Mrd. €.) In der Rangliste der Reichsten ergab das den Platz 133 – nach der Zählweise des ‚manager magazins‘ vom Oktober 2023.
Felix Bode (Jahrgang 1971) ist offenbar der einzige aus den o.g. Familien, der über sein Eigentum auch mitbestimmt. Er ist vertretungsberechtigt für das Unternehmen und gehört dem zehnköpfigen „Board of Directors“ an.
KMW unter der Lupe (Focus Magazin, 2012)
Eine Minute für Isabel Glinicke (Jahrgang 1971)
Produkte:
- Instandsetzung und Modernisierung des Kampfpanzers Leopard 2; in der Selbstbezeichnung heißt dies: „Kampfwertsteigerung“. Das ist insbesondere vor dem (bzw. für den) Export bedeutsam.
Umbau des Leopard 2 zum ‚Leopard 2 A7+‘ (spezialisiert für den Häuserkampf). - Türme und Kabelbäume für den Puma und Leopard, auch für die Leopards, die Rheinmetall produziert.
- Umbau des Leopards zum ‚Kodiak‘: auf die Wanne des ‚Leopards 2 A4‘ wird ein Pionierpanzer gesetzt (Knickarmbagger, Planierschild); dieser kann bei Bedarf vollständig ferngesteuert werden.
- Panzerhaubitze 2000 – und deren Nachfolger AGM
- Panzerspähwagen Fennek
- Brückenlegepanzer Leguan
- Modernisierung des us-amerikanischen Raketenwerfers MARS
- Teile bzw. Teiltranchen des Radpanzers Boxer und des Kettenpanzers Puma
Für das Jahr 2040 ist ein neues, dann erst einsatzbereites „Main Ground Combat System“ geplant. Der deutsche und der französische Zweig von KNDS haben die Absicht, dann daran mit zu verdienen. Das Konzept des MGCS sieht vor, dass ein bemannter „Zentralpanzer“ von einer Schar von Roboterpanzern umschwärmt wird. KNDS besitzt seit Juni 2021 24,9 % der Anteile der estnischen Firma „Milram“, einem Spezialisten für unbemannte Bodenfahrzeuge. Um auch in den rund 15 Jahren bis zur Serienreife eines MGCS Profit zu machen, hat KNDS den Leopard-Panzer zum Typ „Leopard 2A-RC3.0“ weiterentwickelt – jetzt mit einem unbemannten Turm.
Das KMW-Hauptstadtbüro ( -> open link in new tab) befindet sich am Berliner Platz in Berlin.
(2) Rheinmetall Defence als Zusammenlegung von
Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH (RMMV) und Rheinmetall Landsysteme GmbH (RLS)
Henschelplatz, 34127 Kassel
Rheinmetall ist nach Airbus (eine deutsch-französische Firma, die deswegen teilweise aus der Liste ausgeschlossen wird) der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern. Im Jahre 2021 betrug allein sein Umsatz mit Rüstungsgütern 4,2 Mrd. Euro. Der Rüstungsumsatz liefert dabei ca. zwei Drittel des Konzernumsatzes. Für den Rheinmetall-Konzern ist Kassel der größte Standort für die Produktion (und den Umbau/Modernisierung) von Rad- und Kettenpanzern. Dieser Standort zählt ca. 1400 Beschäftigte.
Die US-Börsenaufsicht SEC kennt und nennt öffentlich 280 staatlich erfasste Aktionäre der Rheinmetall AG. Die meisten Aktionäre sind keine Privatpersonen, sondern Investmentgesellschaften. Nach der Größe der Anteile gestaffelt sind es (in dieser Reihenfolge): Blackrock, Wellington, Fidelity, Harris Associates, John Hancock, Capital Group, Vanguard, EuroPacificGrowth Fund und LSV. Sie kommen, wie auch die meisten kleineren, aus den USA. Von den Besitzverhältnissen her ist Rheinmetall dadurch im Kern US-amerikanisch und deswegen nur eingeschränkt eine ‚deutsche‘ Firma. Bedeutungsvoll wird dies, weil somit die Wahrscheinlichkeit gering bleibt, dass die Aktiengewinne arbeitsplatzwirksam in Deutschland investiert werden. Und das Argument, dass es eine eigenständige europäische Rüstungsproduktion gäbe, die möglicherweise sogar ihre Unabhängigkeit gegenüber US-Firmen erweitert, fällt in sich zusammen.
Unscheinbar im Industriepark Mittelfeld nördlich des Hauptfriedhofs (die Holländische Straße raus, dann auf der linken Seite), allerdings dort mit einer großen Panzerteststrecke. U. a. dient diese Panzerteststrecke auch der Anwerbung von Fachkräften: Interessenten und Bewerber können – als kostenlose „Testfahrt“ in einem Spezialfahrzeug deklariert – selber einen Fuchs-Transportpanzer fahren.
Die Firma darf 50 Minuten pro Tag sogar die besonders lärmintensiven Kettenpanzer auch mit Hochgeschwindigkeit testen. Zusätzlich zu den beiden vorhandenen Ovalen wurde 2020 begonnen, eine kreisförmige Teststrecke von 50 Metern Durchmesser für den „Boxer“ und den „Fuchs“ hinzu zu bauen.
Produkte:
- Radpanzer Boxer
- Schützenpanzer Marder
- Schützenpanzer Lynx
- Transport-Radpanzer ‚Fuchs 2‘ , einschl. der Spezialvariante zur Erkennung von ABC-Waffen
(auch die Baugruppen für den ‚Fuchs 2‘, der in Algerien zusammengebaut wird, kommen aus Kassel) Der „Fuchs“ ist das Hauptprodukt des Kasseler Werkes.
- Fahrgestelle für die Panzerhaubitze 2000
- Transportfahrzeug Boxer
- Bergepanzer Büffel
- Polizei- und Führungs-Panzerwagen ‚Survivor R‘
- wie auch bei KMW baut Rheinmetall die Plattform des Leopards zum Pionierpanzer Kodiak aus
(in Kassel werden weniger die Endprodukte, sondern eher Baugruppen gefertigt) - Teile bzw. Teiltranchen des Kettenpanzers Puma
- viel Umsatz erbringt Instandsetzung, Modernisierung und Generalüberholung der o.g. Kriegsgeräte („Kampfwertsteigerung“)
Ähnlich wie KNDS beginnt auch Rheinmetall mit der Entwicklung für das ab 2040 geplante „Main Ground Combat System“. Auch für die rund 15 Jahre Zwischenzeit, bis zur Serienreife eines MGCS, hat Rheinmetall einen neuen Panzer mit einem unbemannten Turm im Angebot: Im Juni 2022 stellte die Firma ihre Konzeption unter dem Namen „Kampfpanzer Panther KF51 CUT“ der Öffentlichkeit vor. Ungarn finanziert mit 288 Mio. Euro die Entwicklungskosten bis zur Serienreife. Dazu wurde ein Joint-Venture-Unternehmen mit Anteilen von Rheinmetall und der ungarischen Staatsfirma N7 gegründet.
Nördlich von Celle, nahe Unterlüß, besitzt die Firma Rheinmetall ein großes Areal mit Fertigung, Test- und Versuchsgebiet. Dieser Standort von Rheinmetall ist mit ca. 50 qkm Fläche das größte private Test- und Versuchsgelände in Europa. Von der Fläche her sind die Städte Offenbach, Konstanz und Stralsund jeweils etwa gleich groß.
Rheinmetall produziert in Baden-Württemberg das Marinegeschütz MLG-27, das u.a. auch auf nicht-deutschen Korvetten verbaut wird. Die Vereinigten Arabischen Emirate setzen ihre Korvetten (einschl. der Rheinmetall-Geschütze) im Jemen-Krieg ein, um den Seezugang Jemens zu blockieren. Gerade auch diese Blockade hat zur Folge, dass jetzt mindestens 17 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig sind. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt zur Zeit, inwieweit Rheinmetall dadurch Beihilfe zu Kriegsverbrechen leistet. (Welt am Sonntag, 05.03.2023)
(3) PSM (Projekt System & Management GmbH); Joint Venture von Rheinmetall und KNDS
Wilhelmshöher Allee 262 (Büro, nicht Produktion)
Produkt:
Das einzige Produkt bzw. „Projekt“ ist die Entwicklung und Planung des Schützenpanzers Puma. Die Serienproduktion des ‚Puma‘ begann 2015; bei KMW und Rheinmetall in Kassel wurden ca. 180 Stück der insgesamt 350 ‚Pumas‘ der Bundeswehr hergestellt. Z. Zt. (Februar 2022) gelten nur 40 Stück davon als „kriegstauglich“. Eine bessere „Feuerkraft und Führungsfähigkeit“ muss erst noch nachträglich hinzugefügt werden. Die Hersteller-Firmen sind damit bis 2029 beschäftigt. Weitere 50 Stück für die Bundeswehr sind bestellt und werden bis Anfang 2027 geliefert.
Ende 2016 wurden Pläne von Rheinmetall bekannt, im Ort Karasu am Schwarzen Meer in der Türkei unter dem Namen „Rheinmetall BMC Suvunma Sanayi (RBSS)“ eine Panzerfabrik zu bauen. RBSS ist ein Gemeinschaftsunternehmen aus 40 % deutschem, 25 % türkischem, 25 % katarischem und 10 % malayischem Kapital. Rheinmetall selbst weigert sich, das Geschäftsfeld dieser „Fahrzeugfabrik“ zu nennen.
In der Ukraine wurde im Oktober 2023 eine weitere Rheinmetall-Produktionsstätte gegründet, die „Rheinmetall Ukrainian Defense Industry“, ein Gemeinschaftsunternehmen zusammen mit „Ukroboronprom“, dem ukrainischen Staatskonzern. Für den ukrainischen Militärexperten Oleksiy Melnyk bedeutet diese Vereinbarung nur den Beginn von weiteren deutsch-ukrainischen Rüstungskooperationen. („Gigantische Geschäftsmöglichkeinen“)
Die drei aufgeführten Betriebe in Kassel (KNDS, Rheinmetall und PSM) haben z. Zt. zusammen rund 2500 Beschäftigte.
Sind 2500 viele oder wenige ? Zum Vergleich hier die Anzahl der Beschäftigten im City Point in der Kasseler Innenstadt, einer Einkaufgalerie. Dort sind 600 Personen beschäftigt.
Das Geld, das mit Rüstung verdient wurde, war schlecht fürs Konzern-Image.
Der Krieg in der Ukraine ist für die Rüstungsindustrie verlockend.
weitere Zulieferer und Dienstleister im Rüstungsgeschäft
Das Handbuch Rüstung ist eine sehr gute Quelle, um sich über die enge Symbiose von Rüstungsindustrie und Politik selbst ein Bild zu machen.
weiterführende Literatur zu Rüstungsbetrieben und zur Rüstungskonversion in Kassel
Hauptseite zur Rüstungskonversion
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