Verfassungsverächter reden endlich Klartext
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gilt vielen Köpfen noch als seriöse Institution. Seit ihrem „Policy Brief Nr. 32“ vom November 2023 (frei übersetzt: prägnante Stellungnahme, aber auch: Instruktion) muss sie allerdings auch als Institution des unverhohlenen Klartextes gelten. In dieser „Politischen Instruktion Nr. 32“ wird sehr lautstark und um visuellen Eindruck schindend ein Strohfeuer an wissenschaftlich dünnen (bis hin zum Anschein von Wissenschaftlichkeit) Behauptungen abgebrannt. Die Autoren Torben Schütz und Christian Mölling sind sich auch nicht zu schade dafür, sich als Verfassungsverächter, böse formuliert als Verfassungsfeinde zu outen.
DGAP Policy Brief (übersetzt: Instruktion) Nr.32, Seite 7
Sie fordern ab dem – zwar zukünftigen, aber absehbaren – Ende der intensiven Kämpfe in der Ukraine den Aufbau der Befähigung der NATO-Militärkräfte zum Kampf gegen Russland. Sie behaupten, frühestmögliche Abschreckung („ab dem ersten Meter vor den russischen Grenzpfählen“) würde die Kriegsgefahr vermindern, als ob Hochgerüstetheit jemals in der Geschichte irgendwo auf der Welt einen militärischen Konkurrenten abgeschreckt hätte. Sicherheit durch Abschreckung ist ganz einfach eine Falschbehauptung – oder ein Tanz mit dem Teufel – oder ein Roulettespiel. Aber dann wäre „Sicherheit durch Zufall“ zumindest ehrlicher.
Von Kriegstüchtigkeit bzw. Kriegsfähigkeit fabulieren die Autoren, als ob die Begriffe keine Vorgeschichte (vgl. den – insbesondere vor 80 Jahren – typischen Wortgebrauch in der Zeitung „“Das Reich“ vom 9.7.1944) hätten.
„Die Uhr beginnt zu laufen, sobald die intensiven Kampfhandlungen in der Ukraine zum Stillstand kommen. Gewünscht werden frühe und hohe Investitionen innerhalb der darauffolgenden zwei Jahre.“ Gewünscht werden frühe und hohe Investitionen innerhalb der sich diesem Zeitpunkt anschließenden zwei Jahre. Fein ausgedacht, weil ja „das Ende der intensiven Kampfhandlungen“ frei interpretierbar ist.
„Investitionen zur unmittelbaren Erhöhung der Kriegsfähigkeit, d.h. Beschaffung von Munition und Ersatzteilen und von schnell zur Verfügung stehenden Kleinstdrohnen sollen nach Meinung der Autoren absoluten Vorrang erhalten: „Vorschriften runter, Investitionen rauf.“ Sie wünschen sich ab sofort Bundeswehrübungen unter de Gesumm und Gebrumm von taktischen Drohnen. Ein „rüstungspolitischer Rahmen“ soll von nun an die Zusammenarbeit zwischen Bund und der „rüstungspolitischen Basis“ (warum wird das Wort Rüstungsindustrie vermieden?) erleichtern und beschleunigen, alle Genehmigungen von neuen Panzer-, Raketen- und Munitionsfabriken sollen noch extremer beschleunigt werden. Mölling und Schütz sprechen von dem „Wiederaufbau der Bundeswehr“. Ein Kampfpanzersystem MGCS oder ein Luftkampfsystem FCAS käme für sie zu spät, wenn/weil es erst in 12 Jahren produziert werden könnte.
Ihre Sicht dabei lautet: die industrielle Basis ist eine von drei Säulen der Kriegsfähigkeit: Im hochintensiven konventionellen Krieg übersteigt der Bedarf der Streitkräfte die Kapazität und Innovationsfähigkeit der Industrie in Friedenszeiten.“ Die zweite Säule soll demnach die militärische Kampfkraft sein. Um hier den Herausforderungen gerecht zu werden, dürfen Soldaten nicht mehr mit dem Sinn ihres Tuns hadern. Die Generation älterer Offiziere müsse – zwar ehrenhaft, aber vor allem – früher(!) entlassen werden.
Die dritte Säule der Kriegsfähigkeit ist – so behaupten Mölling und Schütz – ist die mentale Aufstellung der Gesellschaft und ihr Glaube(!) an den Sinn und die Fähigkeit den Konflikt (Krieg!) mitzutragen – mit allen darin enthaltenen Einschränkungen und Verlusten. Dieser Mentalitätswandel wird angeblich nur gelingen, wenn Deutschland intensiv auf den/die zukünftigen Konflikt/e vorbereitet wird.
DGAP Policy Brief (übersetzt: Instruktion) Nr.32, Seite 8
Die DGAP hat sich klar ausgedrückt. Es wird nichts mehr verborgen, unverhohlen wird das Grundgesetz verächtlich gemacht, ja verachtet.
Denn: in dem Abschnitt, in dem das Grundgesetz die nicht änderbaren Artikel beherbergt, findet der/die kundige Leser/in die tatsächlich immer noch gültige und unmittelbar bindende Regel: „Vereinigungen, deren Tätigkeit sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (Artikel 9) Man lese und staune: „Völkerverständigung“. Kann es etwas Gegensätzlicheres geben? Ist nicht der Gedanke der Völkerverständigung“ absolut konträr zum Gedanken der Drohung mit Waffen, zum Abschreckungsirrtum und zur Hochrüstung? Man liest nämlich keineswegs „Wünschenswert wäre … .“ Der hohe Wert, der der Völkerverständigung im Grundgesetz zugemessen wird, steht weder allein noch wäre er einzigartig. Auch Landesverfassungen, wie z.B. die des Landes Hessen, setzen ähnliche Schwerpunkte: „Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung.“ (Artikel 69) Für das Land Hessen rangieren offenbar die genannte drei Wert-Schwergewichte auf einer Ebene.
Wie groß ist der Interpretationsspielraum für die Worte „Völker“ und „Verständigung“? „Verständigung“ und „Gewaltdrohung mittels Hochrüstung“ dürften diametral auseinanderliegen. Und mit „Völkern“ (auch wenn das Wort in den vergangenen 75 Jahren ungebräuchlicher geworden ist) dürften die nicht-deutschen Menschen in ihrer jeweiligen Zusammengehörigkeit gemeint sein; also das französische Volk, das russische Volk, das venezolanische Volk usw., und z. B. auch das chinesische Volk. Kurz: unsere Verfassung verlangt Gespräch, Entgegenkommen und Ausgleich mit dem russischen Volk.
Der Begriff „kriegsfähig“ kann ohne Zweifel zu den Lieblingswörtern von Adolf Hitler gerechnet werden. Seine 7-seitige Denkschrift (wahrscheinlich vom August 1936), die sich vordergründig über die Aufgaben eines Vierjahresplanes auslässt (eine entsprechende Verordnung wurde dann am 18. Oktober 1936 erlassen) , die aber tatsächlich ausführliche nationalsozialistische Einschätzungen der politischen Lage und die damit zusammenhängenden hitlerschen Konzeptualisierungen enthält, endet mit diesen zwei Sätzen: „Ich stelle damit die folgende Aufgabe: I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“
Hitlers Denkschrift, August 1936
Zudem: der Begriff „kriegstüchtig“ stammt aus der Feder von Propagandaminister Joseph Goebbels. Den Beweis liefert die schon o.g. Wochenzeitung „Das Reich“ vom 9.7.1944.
Diese Recherchen über zwei Wortherkünfte legen klar, dass die Wörter „kriegstüchtig“ und „kriegsfähig“ politisch verbrannt sind, sie taugen nur noch für zitierende, historische Erörterungen.
Jens Bukowski, 20. Dezember 2023
„Tüchtigkeit – das ist kein Wort, das man mit Krieg verbinden darf.“ (Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung Nr. 259, S. 5, 10. November 2023)