Rüstungskonversion hat außer der Betrachtung und Analyse der wirtschaftlichen Struktur und deren Veränderung auch eine „innere Seite“: inwieweit bin ich als Einzelner verantwortlich – oder lenkt diese Frage nur davon ab, dass System und Struktur die größere Bedeutung haben ?
Was bedeutet es für die/den Einzelne/n, die/der Rüstungsgüter herstellt, wenn sie/er miterleben muss/darf, dass Rüstungsproduktion nicht mehr erwünscht ist ? Diese psychische und emotionale Seite darf nicht übersehen werden; besser gesagt: der psychische und emotionale Stress dabei darf nicht übersehen werden.
Jeder von uns ist Herr über ihr/sein Handeln und ihre/seine Entscheidungen. Will man sich für seine Werte, für die Werte unserer Gesellschaft einsetzen ? Wer das tut, wer das gegen Schwierigkeiten durchhält, wird glücklicher. Jeder Mensch wird diese Werte und Schwierigkeiten verschieden erleben, verkraften und abwägen. Was gibt dabei eine Orientierung ?
Die im folgenden vorgestellten Menschen, die sich von sich aus mehr ihren Werten verpflichtet fühlten, als anderen Pflichten, waren in ihrer Unangepasstheit vorbildlich. Sie wurden ihrer Verantwortung gerecht.
1. Felix Bloch
Felix Bloch (* 23. Oktober 1905 in Zürich; † 10. September 1983 in Zollikon/Schweiz) war ein österreichisch-schweizerisch-US-amerikanischer Physiker jüdischer Herkunft.
Er habilitierte 1932 in Leipzig mit einer Arbeit „Zur Theorie des Austauschproblems und der Remanenzerscheinung der Ferromagnetika“. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten floh er aus Leipzig in die Schweiz und ging 1934 an die Stanford-Universität. 1939 wurde er amerikanischer Staatsbürger.
Im Sommer 1942 holte Robert Oppenheimer Felix Bloch in die streng geheime Forschungseinrichtung Los Alamos im Staat New Mexico, um ihn im Manhattan-Projekt (der Entwicklung der us-amerikanischen Atombombe) dabei zu haben. Felix Bloch zog mit seiner Familie in diese abgelegene Stelle in den Rocky Mountains. Seine Aufgabe war es, die Implosionszündung der geplanten Atombombe zu entwickeln.
Ihm gefiel die militärische Atmosphäre der Geheimhaltung nicht und er hatte auch Zweifel, dass der vorgebliche Grund – ein möglicher Vorsprung der Deutschen bei der Entwicklung der Atombombe – noch aktuell war. Natürlich kam es dabei auch zu Differenzen mit Oppenheimer. Er verließ im November 1943 als einer der wenigen Physiker, denen dies gestattet wurde, Los Alamos. Im Anschluss wechselte er in die Radarforschung nach Harvard.
Der Physik-Nobelpreis 1952 zeichnete die Entdeckung der Kernspinresonanz aus. Felix Bloch war einer der zwei Preisträger. Bloch war von 1954 bis 1955 Generaldirektor des CERN in Genf.
Felix Bloch sollte nicht mit Klaus Fuchs (1911 – 1988) verwechselt werden. Klaus Fuchs war ein deutsch-britischer Physiker in Robert Oppenheimers ‚Manhattan Project‘. Er war der erste, der die Vorstellung vom ‚Gleichgewicht des Schreckens‘ mit Substanz füllte. Denn im Zeitraum zwischen 1944 und 1949 verriet er so hochwertige Erkenntnisse an die Sowjetunion, dass sie 1949 die erste eigene Atombombe zünden konnte. Seine Furcht war, dass diese Fähigkeit, wenn sie denn nur in den Händen der USA läge, zu weltgefährlich wäre.
2. Wilhelm Muehlon
Wilhelm Muehlon (* 31. Oktober 1878 in Karlstadt/Main; † 5. Februar 1944 in Klosters/Schweiz)
Muehlon machte in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine steile Karriere bei der Firma Krupp; ab 1913 leitete er als kaufmännischer Direktor die Abteilung Kriegsmaterial.
Als er im Juli 1914 vom damaligen Direktor der Deutschen Bank erfuhr, dass Deutschland die österreichische Eskalation gegen Serbien auch angesichts des drohenden Krieges ohne Einschränkung unterstützt, bekam sein Verhältnis zur deutschen Politik starke Risse. Ende 1914 schied er auf eigenen Wunsch aus dem Unternehmen aus, die Tätigkeit dort war ihm „verhaßt“. Er bekannte sich einmal zu „einem seiner größten Fehler“, dass er nämlich nicht „Kruppsch denken“ könne.
Im März 1915 wurde er „Besonderer Kommissar der Reichsverwaltung für die Balkanstaaten“ des Auswärtigen Amtes. Im Herbst 1916 ging er ins Exil in die Schweiz. Nach der Ankündigung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges im Februar 1917 brach Muehlon den Kontakt zu den Behörden des deutschen Reichs ab.
Schon 1916 hatte er Verbindung zu oppositionellen und pazifistischen Gruppen aufgenommen. Dabei wurde er von F. W. Foerster stark beeindruckt. Im Februar 1919, nach der Ermordung Kurt Eisners, wäre er wahrscheinlich zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt worden, wenn er seine Kandidatur angenommen hätte.
3. Lufthansa-Mitarbeiter*innen, die sich weigerten
Seit seiner manipulierten Wiederwahl im Sommer 2020 ging und geht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko brutal gegen die Opposition im Land vor. Seinen Regierungsflieger, eine Boeing 737, ließ Lukaschenko währenddessen in Deutschland von der ‚Lufthansa Technik‘ in Hamburg warten.
Seit dem 13. Oktober 2020 war das Flugzeug mit der Kennung EW-001PA in Hamburg. Laut einem Lufthansa-Sprecher sollten die Wartungen daraufhin „einige Wochen in Anspruch nehmen“.
Dagegen regte sich in der Lufthansa-Belegschaft Widerstand. Die Verdi-Vertrauensleute am Standort Hamburg veröffentlichten ein Protestschreiben, das über die Niederschlagung der Proteste in Belarus informierte. Darin wird Solidarität mit den belarussischen Schwestergewerkschaften gefordert, die zu den treibenden Kräften hinter den Protesten gehören.
Der Verdi-Aufruf hat vermutlich die Wartung nicht verhindert. Aber: „Es gibt in der Belegschaft Mitarbeiter, die sich weigern, das Flugzeug zu warten, und es ist für die Lufthansa gar nicht einfach, jetzt genug Leute für diesen Auftrag zu finden“, berichtete ein Gewerkschaftsvertreter im Interview der ZDF-heute-Redaktion. „Das Thema geht unter den Beschäftigten viral. Das liegt an der aktuellen Situation in Belarus.“
Der Aufruf hat den Mitarbeiter*innen den Rücken gestärkt, die fürchteten, von der Lufthansa belangt zu werden, sollten sie sich weigern, die Regierungsmaschine zu überholen, erklärte der Gewerkschaftsvertreter.
„[Wir] erwarten von der Lufthansa Technik Geschäftsleitung, jegliche Sanktionen zu unterlassen, falls Kolleginnen und Kollegen sich weigern, an dem entsprechenden Flugzeug zu arbeiten!“
[aus dem offiziellen Verdi-Flugblatt]
4. Florian Pfaff (* 1957)
Gewissenstreu und rechtlich korrekt hat sich Florian D. Pfaff am 7. April 2003 trotz eines entsprechenden Befehls geweigert, weiterhin an der Software-Entwicklung des Programms „SASPF“ zu arbeiten. Mit SASPF sollten damals die unterschiedlichen Computerprogramme der Bundeswehr vernetzt werden. Florian Pfaff war zu der Zeit 46 Jahre alt und als Berufssoldat (Major) mit einem Diplom in Pädagogik seit 1976 bei der Bundeswehr.
Er machte geltend, es sei mit seinem Gewissen nicht zu vereinbaren, Befehle zu befolgen, die geeignet seien, Kriegshandlungen im Irak zu unterstützen. Mit einer Teilnahme an diesem rechtwidrigen Krieg mache er sich strafbar.
Am 20. März 2003, also rund zwei Wochen vorher, waren nämlich die USA und andere Staaten (hauptsächlich Großbritannien) in den Irak einmarschiert, um Saddam Hussein und sein Regime zu stürzen. Am Vorabend dieses Angriffs sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Fernsehansprache: „Der Irak ist heute ein Land, das von der UNO umfassend kontrolliert wird. Was der Weltsicherheitsrat an Abrüstungsschritten verlangt hat, wird mehr und mehr erfüllt. Deshalb gibt es keinen Grund, diesen Abrüstungsprozess jetzt abzubrechen.“
Er sehe den Irak-Krieg als völkerrechtswidrig an, sagte Florian Pfaff, die Unterstützungsleistungen der Bundesrepublik für die alliierten Streitkräfte, wie die Stationierung deutscher ABC-Abwehrtruppen in Kuwait, die Beteiligung deutscher Soldaten an AWACS-Flügen, die Bewachung von US-Liegenschaften in der Bundesrepublik, sowie die Gewährung von Überflug- und Landerechten seien verfassungs- und völkerrechtswidrig. Die Software, an der er arbeiten sollte, würde eben im Ziel auch die Versorgung dieser o.g. Truppenteile verbessern.
In seinem Urteil zwei Jahre später, am 21. Juni 2005, hat das Bundesverwaltungsgericht den Vorwurf der schweren Dienstverletzung verneint. Der federführende Richter, Dr. Dieter Deiseroth, konnte mit seiner präzischen Argumentation alle anderen Richter des Wehrdienstsenates auf seine Seite bringen. Die Pflicht zum Gehorsam ist durch das Grundrecht auf Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) beschränkt. Die fristlose Entlassung und die Dienstgradherabsetzung mussten zurückgenommen werden. Allerdings wurde Florian Pfaff nach dem Geschehen nicht mehr befördert. Seine weitere Zeit als Major versah er bei einem Sanitätskommando in München. Im Mai 2013 (im Alter von 57 Jahren) wurde er in den Ruhestand versetzt. Er engagiert sich weiterhin friedenspolitisch.
5. Michael Jackson
Der 11. Juni 1999. Der völkerrechtswidrige Krieg der Nato gegen Jugoslawien ist beendet, und die serbischen Truppen haben Pristina, die Hauptstadt des Kosovo, soeben verlassen. 200 russische Soldaten sind im Flughafen von Pristina einmarschiert, um die Landung weiterer russischer Truppen einzuleiten. Der amerikanische Oberbefehlshaber der Nato-Truppen, General Wesley Clark, will die Landung weiterer russischer Truppen verhindern. Darum befiehlt er seinem Stellvertreter in der Leitung der KFOR-Truppen, dem britischen General Sir Michael Jackson, die Landebahnen des Flughafens von Pristina mit Panzern und Helikoptern zu blockieren. Der Brite weigert sich den Befehl auszuführen. «I’m not going to start the Third World War for you.» – «Ich werde für Sie nicht den Dritten Weltkrieg beginnen.» (taz – Tageszeitung – 10. März 2000)
Russland, vertreten durch seinen Präsidenten Boris Jelzin, forderte nach dem Ende der Kämpfe in Jugoslawien einen eigenen russischen Sektor im Kosovo. Sein Selbstbild war das einer traditionellen Schutzmacht des serbischen „Brudervolkes“. Es fühlte sich durch den Krieg vom Westen gedemütigt und übergangen. Die Verhandlungen über eine Beteiligung Russlands an der internationalen Schutztruppe stockten, auch weil Russland sich schon gar nicht einem Nato-Oberkommando fügen wollte.
Nur drei Tage nach dem vermeintlichen Husarenstreich stellt sich die Lage „der Russen“ im Kosovo weit weniger heroisch dar: Den Soldaten gehen die Vorräte aus. Sie tauschen mit der Zivilbevölkerung Treibstoff gegen Lebensmittel, bei der Nato bitten sie um Nachschub. Wenig später einigen sich russische und westliche Politiker darauf, dass Russland Teil der internationalen Schutztruppe wird – einen eigenen Sektor bekommen sie aber nicht.