Rüstungskonversion bezeichnet in erster Linie die Umstellung industrieller Betriebe oder ganzer Industriezweige der Rüstungsproduktion auf eine zivile Fertigung. Damit sind einige grundsätzliche Fragen angeschnitten.
Aber neben der Betrachtung und Analyse der wirtschaftlichen Struktur und deren Veränderung hat Rüstungskonversion auch immer eine „innere Seite“, eine Innenansicht. Gemeint ist der eigene Verantwortungsbereich, das eigene Handeln zwischen ‚Pflicht‘ und ‚Freiheit‘.
Ein entscheidender Trick der Rüstungsindustrie liegt darin, dass in den Arbeitsverträgen stark einschränkende Geheimhaltungsvereinbarungen unterschrieben werden müssen. Dadurch entsteht eine große Hürde und es wird der Zivilgesellschaft somit fast unmöglich, ernsthaft und nüchtern die Vor- und Nachteile der Rüstungsproduktion zu erörtern, abzuwägen und zu diskutieren.
Panzertransport per Schiene:
Die gegenwärtig bedeutsamsten Rüstungsbetriebe in Kassel.
Rückblick auf die Geschichte der Rüstungsbetriebe in Kassel.
Weiterführende Literatur zu Rüstungsbetrieben und zur Rüstungskonversion in Kassel.
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Konversion der Rüstungsindustrie im ursprünglichen Sinne
Die politische Forderung zur Rüstungskonversion wurde seit den 1970er Jahren in der Friedensbewegung und Teilen der bundesdeutschen Gewerkschaften immer lauter: Man forderte die Umstellung der deutschen Rüstungsindustrie auf die Produktion ziviler Güter.
Das entpuppte sich alsbald als das Bohren dicker Bretter. Die Unternehmensleitungen und Eigentümer sahen in Konversionsvorschlägen nur den (tatsächlichen / vermeintlichen ?) Machtverlust. Deswegen wurden und werden Vorschläge oft ungeprüft und brüsk abgelehnt.
Panzertransport über den Holländischen Platz:
Lucas Aerospace
Im Januar 1976 stellten Beschäftigte des britischen Luftfahrt- und Rüstungskonzerns Lucas Aerospace einen Plan für eine alternative Produktion vor. Statt Blindflug-Systeme für Militärflugzeuge wollten sie lieber Sichthilfen für Blinde bauen. Das war nur ein Vorschlag von über 150 Ideen, die aus den Reihen der Belegschaft und nicht zuletzt mit der Kraft der gewerkschaftlichen Vertrauensleute rund um Mike Cooley innerhalb nur eines Jahres entwickelt worden waren. Der Lucas-Plan ( -> open link in new tab) ist immer noch ein Hit. In dessen Nachfolge erarbeitete ein Arbeitskreis bei der Hamburger Werft ‚Blohm + Voss‘ ähnlich einleuchtende Konversionsideen.
Ein Rückblick ( -> open link in new tab) auf den Lucas-Plan zeigt nochmal seine besondere Bedeutung.
Auch die „konkreten Alternativen für die Produktion„ von Edgar Einemann und Edo Lübbing von 1986 sind immer noch mit Gewinn zu lesen.
Panzertransport per Tieflader:
Kassel
Im Jahre 1988 vergab die damalige Gesamthochschule Kassel einen Werkauftrag an Thomas Vollmer, der die Aufgabe hatte, konkrete Konversions- bzw. Diversifikationsvorschläge für die zwei großen Rüstungsfirmen in Kassel zu entwerfen.
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Gute Beispiele, die Mut machen
(Anne Rieger in der Zeitschrift „ossietzky“ Nr. 5/2020)
Konversionsbeispiele sind vorzeigbar. Konversion ist finanziell möglich, wenn sie politisch gewollt ist. Denn der Strukturwandel der Branchen ist im Kapitalismus zwar nicht das tägliche Geschäft, aber er ist relativ häufig und normal. Denken wir nur an die Umstrukturierungen im Ruhrgebiet auf den Feldern Kohle und Stahl oder an die Textilindustrie. Auch direkt nach 1989, als der östliche »Feind« verlorengegangen war, hatte die Rüstungskonversion eine Hochzeit, besonders im stark in Bremen, wo es sogar zehn Jahre lang einen staatlichen Konversionsbeauftragten gab. Aber auch innerhalb des »normalen« Kriegsgeschäfts werden zum Beispiel mal mehr Panzer, mal weniger Panzer gewünscht. Das ist bisher alles strukturell aufgefangen worden.
(1)
Beim Navigationshersteller Northrop Grumman LITEF GmbH in Freiburg gelang es, von einer 100-prozentigen militärischen Ausrichtung im Jahr 2000 sukzessiv eine stärkere Hinwendung zum kommerziellen Markt zu erreichen. »Wir wollten Alternativen, die das Unternehmen krisenfester machen. Es war mit ein Verdienst des Vertrauenskörpers der IG Metall, dass LITEF heute rund 50 Prozent zivile Fertigung hat.
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Konversion heißt – egal nach welcher Definition – immer auch: Umschulung und Überbrückungskredite.
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Auf dieser Basis kann man sich auch erlauben, heikle Aufträge abzulehnen«, so Hermann Spieß, der damalige Geschäftsführer der IG Metall Freiburg. Eine Vertriebsabteilung »Zivile Produkte« wurde aufgebaut, und finanzielle Mittel wurden in die Entwicklung ziviler Produktanwendungen investiert. Das Know-how im Bereich militärischer Elektronik bildete die Grundlage für die Entwicklung und Produktion von Testgeräten und Umweltsimulationen, die heute ein Standbein der Produktion sind. Durch Erfolge in zivilen Märkten konnte eine Stabilisierung der Mitarbeiterzahlen erreicht werden.
(2)
Die Nordseewerke GmbH in Emden, eine der größten deutschen Marinewerften mit Schwerpunkt U-Bootsbau, war bis 2010 ein Tochterunternehmen des Thyssenkrupp-Konzerns (TKMS). Thyssen gab den Kriegsschiffbau auf, und 2010 übernahm die Schaaf Industrie AG (SIAG) den Großteil der Nordseewerke, um Stahlbau-Komponenten für Offshore-Windenergie-Anlagen zu produzieren. »Wind statt Waffen!« titelte der Spiegel 2010. Rund 700 Beschäftigte der TKMS wechselten zur SIAG, die zunächst erfolgreich mit der Fertigung begann. Später kam es zu Verzögerungen beim Ausbau der Windenergieplattformen, zu Nachfrageschwankungen und Insolvenzen wegen der politisch gewollten Drosselung des Ausbaus erneuerbarer Energien.
(3)
Der Aufbau neuer Fertigungsanlagen für den Lokomotivbau auf dem Gelände der ehemaligen Panzerfertigung durch die chinesische Firma CRRC ZELC (vor 2020 : Vossloh-Locomotives bzw. Krupp Mak) in Kiel ist ein weiteres Beispiel. Ende der 1980er Jahre waren die Arbeitsplätze durch Rüstungsaufträge (keine U-Boote für Chile mehr) stark rückläufig. Der gewerkschaftliche Arbeitskreis »Alternative Produktion« der IG Metall überlegte, wie man den Standort menschen- und umweltverträglicher sichern könnte. Die Vorschläge reichten von der Umsetzung regionaler Energieversorgungskonzepte bis zum Bau neuer Lokomotiven. Dem Bahnkonzern Vossloh gelang es, die schon fast geschlossene Lok-Sparte zum europaweit größten Diesellokhersteller auszubauen und so über 400 Arbeitsplätze zu schaffen. Ursprünglich waren „nur“ Markt- und Technikveränderungen der Antrieb, nunmehr ist Kiel das zentrale Kompetenzzentrum für den Lokomotiven-Neubau und -Service dieses „Global Players“.
Die Beispiele zeigen, »dass grüne Produktion, saubere Energie und die Energieeffizienztechnologien … für sichere Arbeitsplätze interessant« sind, so Kai Burmeister, Gewerkschaftssekretär der IG Metall.
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Abrüstung, Klimaschutz und Konversion sind Geschwister.
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Bedenklich wird es aber, wenn Rüstungsfirmen versuchen, sich reinzuwaschen („greenwashing“). Im August 2024 berichtete die Rheinmetall AG stolz davon, dass die Software aus ihrem Flugabwehr-Geschäft nun auch dazu dienen kann, Windparks mit Antikollisionssystemen auszustatten. Durch ständige optische Überwachung des Luftraumes wird dabei die Annäherung eines Rotmilans erkannt, und die entsprechenden Rotoren können zeitpräzise abgeschaltet werden. So soll angeblich schon an 25 Erfassungstagen und 237 Rotmilanflugsequenzen eine gute Schutzwirkung für diese Tierart bewiesen worden sein.
Auch die documenta 13 im Jahre 2012 beschäftigte sich mit der Produktion der Firma ‚Henschel und Sohn‘ und insbesondere mit deren Tiger-Panzern und der Tier-Metapher. (Diese d13-Seite wird von zeitgenössischen Browsern als „unsicher“ deklariert – was uns als übervorsichtig erscheint.)
„Die Idee, fahrbares Kriegsgerät nach Raubtieren zu benennen, hat ohnehin schon einen strengen Beigeschmack von Verharmlosung. Zumal der Begriff Raubtier schon eine anthropozentrische Unterstellung ist. Tiere kennen kein Gut und kein Böse, sie unterliegen auch nicht dem menschlichen Konzept des Privateigentums, das einem Begriff wie Räuber vorausgesetzt sein müsste. Kriegshandlungen auf dem Schlachtfeld, denen Menschen zum Opfer fallen, bekommen in dieser Metaphorik den Anstrich eines Abenteuers. [ … ] Brechen sollte man mit dieser Sitte aber vor allem, um sich von der Tradition der Wehrmacht zu lösen. Die Nazi-Rüstungsindustrie war es, die seit 1942 ihre zunächst abgekürzten und nummerierten Panzerkampfwagen PzKpfw I, II, III und IV als Tiere zu adeln begann: Der PzKpfw V hieß Panther, aus PzKpfw VI wurde Tiger und aus PzKpfw VII Königstiger. Man hat den Propagandaton der Wochenschauen im Ohr, bei denen mit Hilfe dieser Bezeichnungen die Kriegstaten der Deutschen verherrlicht wurden, während sie Verderben über die Menschheit brachten. Tiere sind keine Mörder.“ (Ulrich Seidler, Das Sprechen über Krieg braucht keine Bilder aus der Fauna, Berliner Zeitung vom 28./29. Januar 2023 , Seite 9)
weitere Stellungnahmen:
Das Kasseler Friedensforum / Friedensratschlag
Die heutige Situation ähnelt immer noch der Lage von vor 40 Jahren. Auch ein an sich aufgeschlossener Gewerkschafter wie Roman Zitzelsberger kann den theoretischen und praktischen Stillstand nicht leugnen. Denn Sätze wie: „Wir wollen nicht die Waffenexporteure dieser Welt sein.“ und: „Die Margen in der Rüstungsindustrie sind sehr hoch.“ wirken hauptsächlich unentschieden.
Fraglos zustimmen kann man aber ganz sicher seinem Schlusssatz: „Im Kapitalismus ist es nun mal so, dass man nichts geschenkt bekommt, sondern um seine Positionen kämpfen muss.“
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weiterführende Web-Seiten:
- Arbeitskreis Rüstungskonversion (leider seit September 2021 nicht mehr aktualisiert)
- Im Klimaplan der Stadt Kassel, der in einem offenen, basisdemokratischen Prozess zu einem lebenswerteren, gerechteren und ökologischeren Kassel führen will, gab es bis vor kurzem den Punkt „Rüstungskonversion“.
- Rüstungsregion Bodensee
- Rüstungsregion Kiel
- Kritische Aktionäre von Jenoptik, Jena
- Handbuch Rüstung (ein PDF-Dokument)
- Zuliefer-Firmen für die Produktion von Rheinmetall
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Wie lebt es sich denn eigentlich so in Kassel ? ( -> open link in new tab)
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