Russische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland
Zwischen dem 23. Februar 2022 und dem 23 September 2023 haben mehr als 3500 russische Männer im wehrpflichtigen Alter Asyl in Deutschland beantragt. Davon wurden 93 Anträge bewilligt, das sind 2,7 %.
Ukrainische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland
Vor dem Februar 2022 lebten ca. 250 000 ukrainische Männer und Frauen in Deutschland. Im März 2024 war ihre Zahl auf ca. 1.110.000 angestiegen. Weit über die Hälfte der Flüchtlinge wollen dauerhaft in Deutschland bleiben. Exakt gezählt lebten im Juli 2024 genau 239.650 ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren in Deutschland. Doch nicht alle sind vor dem Kriegsdienst geflohen. Obwohl Männer zwischen 18 und 60 Jahren eigentlich das Land nicht verlassen dürfen, gibt es Ausnahmen. So z. B. dürfen ukrainische Väter von drei minderjährigen Kindern bisher noch legal ausreisen. Das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes war vor 2022 an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft, seit dem 24.02.2022 existiert es nicht mehr. [Eine informative Reportage von Sabine Adler am 24. Februar 2024 im Deutschlandfunk]. Eine große Zahl von Männern versucht dem drohenden Militärdienst zu entfliehen. Allein innerhalb eines Jahres wurden an den ukrainischen Grenzen 11 000 Fluchtversuche verhindert und die Männer festgenommen. Geschätzte 2.700.000 Ukrainer und Ukrainerinnen flohen bisher nach Russland; rund 80.000 ukrainische Soldaten kämpfen auf russischer Seite.
Laut Menschenrechtsorganisationen haben in den 38 Monaten seit Kriegsbeginn mehr als 100.000 Soldaten ihre Einheiten eigenmächtig verlassen. Offiziell ermittelt die ukrainische Justiz in 60.000 Fällen von „unerlaubter Entfernung“ und(!) 30.000 Desertionen. Im Gespräch mit der „Deutschen Welle“ sagt ein Offizier der 68. Brigade: „Einige sagen: Lieber sitze ich sechs Jahre im Gefängnis, als an der Front zu sterben.“ Erstmals in der ukrainischen Geschichte ist Desertion das häufigste Verbrechen – noch vor Diebstahl und Betrug. 2024 wurden fast 89.500 neue Fälle registriert, mehr als dreimal so viele wie im Vorjahr.
Die Ukraine hat im April 2024 das „Mobilisierungsgesetz“ beschlossen, das im Juni 2024 in Kraft trat. Es soll dazu dienen, 500 000 neue Soldaten zu rekrutieren. Es braucht nicht viel Fantasie, um vorherzusagen, dass es in naher Zukunft zu weiteren Verschärfungen (Rekrutierung von Frauen, Rückführung von geflüchteten Männern) kommen wird. Ebenfalls ab April 2024 werden die regelmäßig notwendigen Verlängerungen des Passes nur noch in der Ukraine, nicht mehr im Konsulat, durchgeführt. Absicht ist offenbar, möglichst viele ukrainische Männer zum Kriegseinsatz zurückzuholen. Andernfalls wird eben einfach nicht verlängert. Aber wenn Deutschland beginnen würde, die oben genannten ca. 200 000 ukrainischen Männer abzuschieben, wäre dazu sehr viel Zwang nötig. Sehr viele Festnahmen, sehr viele Haftplätze. Die Vorgaben, wer zurückgeschoben werden soll und wer nicht, würden dabei letztlich vom ukrainischen Verteidigungsministerium kommen – und Deutschlands Polizei sich als dessen verlängerter Arm betätigen. Das wäre ein ungewöhnlich hohes Maß an „Solidarität“. Es wäre eine Einmischung in die ukrainische Innenpolitik, wie sie international jedenfalls sehr unüblich ist. [Ein informativer Kommentar von Arnd Pollmann am 7. Januar 2024 im Deutschlandfunk]
Die in Deutschland wohnenden militärpflichtigen Ukrainer haben hier keine Möglichkeit, einen eventuell ungültigen Pass zu verlängern. Eine Reise in die Ukraine empfiehlt sich nicht. Die männlichen Ukrainer im wehrfähigen Alter (18 – 60) mit abgelaufenen ukrainischen Dokumenten sollten u. E. aufmerksam bleiben und Ruhe bewahren. Keine Panik! Auch wenn die ukrainischen Dokumente (Reisepass bzw. ID-Karte) abgelaufen sind, erhält der Betreffende in Deutschland die Aufenthaltserlaubnis und erfüllt damit die Passpflicht. Die Aufenthaltserlaubnis selbst gilt nämlich als Passersatz. Der vorübergehende Schutz wird gemäß der „Massenzustrom-Richtlinie“ gewährt. Selbiges gilt sogar bei der Einreise mit abgelaufenem Ausweis. Dieser Schutz („Massenzustrom-Richtlinie“) gilt mindestens bis zum 4. 3. 2026. ABER: Eine Reise ins Ausland ist mit abgelaufenen ukrainischen Dokumenten nicht(!) möglich. Die dort zuständige ausländische Behörde will immer einen gültigen Ausweis.
Die Angst vor dem Krieg oder der Wunsch nach einem friedlichen Leben treibt viele ukrainische Männer aus dem Land.
Ausstellung von Pässen und Passverlängerungen – Grundrechtsverkürzungen und Datenweitergaben
auf Ukrainisch: der grün unterlegte Abschnitt
Ein ukrainischer Student, der mittlerweile in Deutschland lebt, kommentiert die aktuelle Situation.
Neben vielen anderen Problemen hat die ukrainische Community in Deutschland ein besonderes Problem. Die konsularischen Vertretungen der Ukraine weigern sich, für Jungen im Teenager-Alter und für Männer unter 60 Jahren Pässe auszustellen bzw. nach Ablauf zu verlängern. Angeblich kann diese Personengruppe in der Software nicht autorisiert werden. Tatsächlich will man aber die Betroffenen zwingen, zwecks Passverlängerung in die Ukraine einzureisen, um sie dann im selben Moment militärisch zu registrieren und zu erfassen. Schon jetzt werden die persönlichen Daten aller männlichen Passverlängerungs-Antragsteller aus Deutschland an das ukrainische Verteidigungsministerium übermittelt.
Aber in Deutschland besteht vorübergehende Sicherheit. Auch wenn die ukrainischen Dokumente (Pässe) abgelaufen sind, erhält der Betreffende die Aufenthaltserlaubnis und erfüllt die Passpflicht. Sogar bei der Einreise mit abgelaufenem Ausweis wird der vorübergehende Schutz gewährt. Der Schutz („Massenzustrom-Richtlinie“) gilt mindestens bis zum 04.03.2026
Darüber hinaus entstehen gegenwärtig in der ukrainischen Community echte Sorgen, kombiniert mit großer Ungewissheit, durch zwei weitere Entwicklungen:
A)
Seit dem Januar 2025 unterstützt die Bundesregierung die Ukraine bei der Einrichtung eines „Unity Hubs“ in Berlin, der Geflüchteten als Anlaufstelle dienen soll. U.a. soll diese neue Einrichtung zu mehr freiwilligen Rückkehrern in die Ukraine führen. Der „Unity Hub“ kooperiert mit Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit. Rückkehrende sollen angeblich im Rückkehrland gefördert (eine dieser Initiativen heißt „Skills Alliance“) und für den Wiederaufbau des Landes ausgebildet werden. Ziel sei angeblich, die freie und europäische Ukraine nachhaltig zu stärken. Tatsächlich ist aber zu vermuten, dass sich hinter dem „Unity Hub“ eine Form der Datenweitergabe und ein Zwangsumschulungszentrum für die Mobilisierung von Männern im wehrfähigen Alter in Deutschland verbirgt. Auch in Polen und in der Tschechischen Republik sollen ähnliche Zentren eröffnet werden.
B)
Am 16.01.2025 drehte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das bisherige deutsche Rechtsverständnis um 180 Grad (Beschl. v. 16.01.2025, Az. 4 ARs 11/24). Dem Urteil ging folgender Sachverhalt voraus: ein junger Mann aus der Ukraine flüchtete im Sommer 2018 nach Deutschland. Er hatte damals schon den anderthalbjährigen Grundwehrdienst abgeleistet. Angeblich wurde bei der Flucht ein ukrainischer Polizist beleidigt, bedroht und körperlich angegriffen. Wenn eine solche Straftat nachgewiesen werden kann, droht in der Ukraine eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Er wurde im Dezember 2023 in Deutschland festgenommen und kam in Auslieferungshaft. Er wehrte sich gegen seine Rücküberführung in die Ukraine, da er im Fall einer Auslieferung damit rechnen müsse, zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. Er wolle jedoch keine Menschen töten und verweigerte aus Gewissensgründen den Militärdienst.
Darf die Bundesrepublik ausliefern, trotz des Grundrechtes der Glaubens- und Gewissensfreiheit? Dieses Recht, so betonte ursprünglich das Oberlandesgericht Dresden, gelte doch „ohne Einschränkung für jeden, der zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden könne“.
Doch der vierte Strafsenat des BGH sah die Rechtslage anders und ließ keinen Raum für Zweifel. In seinem Urteil wird klargestellt, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung kein „integraler Bestandteil der Gewissensfreiheit und damit der Menschenwürde“ sei. Eine kriegsbedingte Aussetzung des Kriegsdienstverweigerungsrechts sei kein unüberwindbares Auslieferungshindernis, sondern nur eine normale Grundrechtsverkürzung. In Staatskrisen würden (nach Erkenntnis des Gerichts) regelmäßig und in allen Ländern – zukünftig möglicherweise also auch in der Bundesrepublik Deutschland – unabänderbare Grundrechte beschnitten. Dieses Urteil ist eine klare Absage an die Hoffnung, dass Gewissensgründe vor der Auslieferung schützen könnten. Für den ukrainischen Flüchtling bedeutet dieses Urteil: Seine Auslieferung ist nun so gut wie besiegelt – und mit ihr die Wahrscheinlichkeit, an die Front geschickt zu werden.
Inzwischen wächst die fachlich-juristische Kritik an dem BGH-Urteil vom 16. Januar 2025.
Diese beiden Ungewissheiten stärken nicht die Hoffnungen, sondern die Besorgnisse in der ukrainischen Community. Was verlangt diese Menschenrechtsverkürzung von mir, von meinem Mann von meinem Sohn? Möglicherweise werden die genannten Ereignisse des Januars 2025 noch mehr Menschen als bisher dazu bringen, jegliche Verbindung mit der Ukraine abzubrechen.
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Im November 2024 flohen im Durchschnitt pro Tag 60 Männer im wehrpflichtigen Alter nach Rumänien. Eine Sprecherin des ukrainischen Grenzschutzes sagt, statistisch betrachtet würden im Schnitt sieben von zehn Flüchtlingen gestoppt, bevor sie den Fluss überhaupt erreichten. Dramatischerweise forderte der Fluss schon dutzende Tote. Unter diesen Umständen nehmen einige Flüchtlinge – mit und ohne Schlepper-Hilfe – die deutlich längere Bergroute nach Rumänien auf sich. Angeblich gibt es dort auf rumänischer Seite so gut wie keine Grenzkontrollen. Es hat sich als nicht sinnvoll erwiesen, bei der rumänischen Polizei Hilfe zu suchen bzw. sich bei ihr zu melden.
Norddeutscher Rundfunk, Anfang Juli 2024
Andere Fluchtrouten gehen über die Donau nach Rumänien, über das Gebiet von Transnistrien nach Moldau oder in die Slowakische Republik. (Im Juni 2024 wählten rund 10 Personen pro Tag diesen letztgenannten Fluchtweg.)
Die Anzahl der ukrainischen Soldaten, die jeden Monat aus ihren Einheiten desertieren, wird auf 5000 geschätzt. Im Jahre 2024 war es besonders auffällig, dass sich – im Zusammenhang mit der Ausbildung einer ganzen ukrainischen Brigade in Frankreich – 50 Soldaten dieser „Brigade 155“ abgesetzt haben und nicht in den Krieg zurückgekehrt sind. Nun soll in 2025 eine weitere Brigade in Frankreich trainiert werden. Wiederum dürften einige Soldaten die Gelegenheit nutzen, während der Ausbildung in Frankreich zu fliehen.