In dem Moment, in dem man die Begriffe Waffenexporte und Israel zusammenfügt, entfaltet sich eine Reihe von Themen, die nicht übersehen werden dürfen.
Dieser Artikel ist um neutrale Berichterstattung bemüht. Da aber eine Nachricht nie ohne Zusammenhang auftritt, sie auch nie ohne Zusammenhang gelesen werden darf (!), sind diese Bezüge an einigen Stellen nur mit Hilfe von Bewertungen möglich. Neutrale Formulierungen wären an diesen Stellen aussagelos. Die Bewertungen sind ohne weiteres erkennbar.
1. Waffenexport und/oder Waffenimport
Israel ist der weltgrößte Waffenexporteur – wenn die Exportdaten in Bezug zum BIP gesehen werden. Israel ist darüber hinaus auch ein großer Waffenimporteur. In jüngster Vergangenheit bezog es aus Deutschland hauptsächlich U-Boote und Korvetten (= kleine Fregatten). Es ist nicht direkt nachgewiesen, ob diese U-Boote inzwischen atomar bestückt sind, allerdings besitzen sie die Vorrichtung für den Senkrechtstart von Raketen, dies ist eine notwenige Voraussetzung für atomar bestückte, ballistische Raketen. Zudem haben die Schiffe eine erweiterte Torpedo-Abschusseinrichtung an Bord, mit der die ‚Popeye Turbo Marschflugkörper‘ gestartet werden können. In den ersten siebeneinhalb Monaten des Jahres 2024 genehmigte die Bundesregierung Waffenausfuhren nach Israel in der Höhe von durchschnittlich 500.000 € pro Woche. Im Zeitraum Mitte August bis Mitte Oktober erhöhte sich die genehmigte Summe auf rund 10 Mio € pro Woche, eine Verzwanzigfachung.
Es gibt eine immer wiederkehrende Komplikation in den Statistiken: mal werden die Genehmigungen pro Zeitraum aufgelistet, das andere Mal sind es die Lieferungen pro Zeitraum. Außerdem verlangt die Genauigkeit, zwischen „Kriegswaffen“, „Kleinwaffen“ und „Rüstungsgütern“ zu unterscheiden. Dennoch ist damit immer noch nicht die besondere Problematik der „dual-use-goods“ angesprochen, eine Problematik, die sich einer Kurzbeschreibung widersetzt. Alle drei Problematiken sollte der Leser / die Leserin immer mit bedenken.
[Israelische Waffeneinfuhren der letzten Jahre gemäß der Statistik der Vereinten Nationen – näheres unter Punkt 5 a)]
2. Die besondere historische Verantwortung
Deutschland und Israel verbindet das grauenhafte Unrecht der Shoa. Dieses Unrecht ist singulär, eine historische Einmaligkeit, ein einzigartiger Zivilisationsbruch. Beinahe erübrigt sich aber die Bemerkung, dass diese – wie jede andere auch – Einzigartigkeit bzw. historische Sonderstellung erst nach(!) einem Vergleich mit der fast unüberblickbaren Menge von Grausamkeiten in der Geschichte erkennbar ist. So ist es unabweisbar, dass Deutschland als Folge des Völkermords an den europäischen Juden während der NS-Zeit eine besondere historische Verantwortung trägt. Sie wird nicht und darf nicht kleingeredet werden. Dafür hat am 18. März 2008 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Formulierung gefunden, dass „diese historische Verantwortung Deutschlands […] Teil der Staatsräson meines Landes“ ist. Wohlgemerkt: der Staatsräson-Inhalt ist die Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels, nicht die Sicherheit (oder gar der bedingungslose Beistand) direkt. Zudem hat Sicherheit niemals nur eine militärische Dimension.
Die Rede von Angela Merkel vor 16 Jahren hat ein gewisses „Wording“ geprägt. Ihr Bezug zur Staatsräson wird gerne wiederholt. Doch halt: Wahrscheinlich nicht zufällig ist der Inhalt des Merkel-Satzes entkernt und neu gefüllt worden; äußerliche Verwechselbarkeit ist nun kombiniert mit innerer neuer Botschaft. Zum Beispiel: „Für uns Deutsche ist es Teil unserer Staatsräson, die Sicherheit Israels bedingungslos zu unterstützen.“ (Boris Rhein, Hessischer Ministerpräsident am 7.10.2024). Diese Umdeutung ist auf ihre Art hinterrücks und perfide. Die Suggestion bleibt, dass man über dasselbe spräche. Der tatsächliche Unterscheid wird aktiv verschleiert.
Ein weiterer Kommunikationstrick lässt sich an diesem Staatsräson-Wording auch noch zeigen: Seit 16 Jahren – und seit einem Jahr noch intensiver – wird die Staatsräson-Behauptung als absolut alternativlos hingestellt. Als Fachbegriff dafür wird „argumentum ad necessitatem“ verwendet. Auch dies ist ein Rhetorik-Kunststück.
Nach dem Bedeutungsumtausch gleicht das Staatsräson-Wort einem Trick, der (wie alle Tricks!) auch seinen Befürwortern und Verwendern zum Nachteil gereichen kann. Wenn Menschen Kommunikationstricks durchschauen, ist die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit unrettbar verloren. Das fein ausgedachte Kunststück und die Versessenheit, mit der es gefördert wird, wird seinen Erfindern auf die Füße fallen.
Es ist wünschenswert, wenn die veröffentlichten und die öffentlichen Positionen möglichst bald zu der ursprünglichen Aussage von Angela Merkel zurückkehren würden.
3. Eine Atommacht hinter einem Wortnebel
Israel ist Atommacht, und das schon seit ca. 1986. Der Atomtechniker Mordechai Vanutu war damals, als der Begriff noch nicht in aller Munde war, der entscheidende Whistleblower. Er legte geheime Dokumente offen, wie seit ca. 1964 mit französischer Hilfe in Dimona im Negev Plutonium wiederaufbereitet wurde. Im Jahr 1999 sollen die Bestände auf 100 bis 200 hochentwickelte Atomwaffen angewachsen gewesen sein. In jenem Jahr veröffentlichte sogar die Tagezeitung „Yediot Ahronot“ Auszüge aus den brisanten Akten. Die Auswertung von Satellitenfotos im Jahr 1997 legt nahe, dass sich in der Nähe von Zakharia sowohl das Depot der Atomwaffen, als auch dasjenige Depot der Trägersysteme befindet, in diesem Fall sind 50 Jericho-II-Raketen die Trägersysteme. (Hough, H. (1997): Could Israel‘s nuclear assets survive a fist strike? Jane’s Intelligence Review, September: 407-410) Vanutu darf selbst heute noch Israel nicht verlassen und darüber hinaus mit keinem ausländischen Journalisten sprechen. Diese Strafe ist völlig unangemessen, auch z.B. weil sich die Arbeitsstelle seiner norwegischen Ehefrau in Oslo befindet.
Obwohl der Iran als Israels Hauptfeind dargestellt wird, wurde mit ihm 2015 die Wiener Nuklearvereinbarung abgeschlossen. Dieses Rüstungsverhinderungsabkommen bekam nun nur drei Jahre später von US-amerikanischer Seite ein anderes Framing. Wie beim Umbenennen von „weiß“ zu „schwarz“ wurde „Verhinderung“ in „Beförderung“ umgedeutet. Doch tatsächlich war es nie etwas anderes als ein Rüstungsverhinderungsabkommen. Dennoch nahm die US-Regierung (sicher wohl auch in Absprache mit der israelischen Regierung) die Umdeutung vor, der Vertrag wurde gekündigt und die Grenzen des Sagbaren verengten sich auf a) Eskalation auf amerikanischer Seite und b) böse Absichten auf Seiten der Regierung in Teheran.
4. Eindeutige Einstufungen durch das internationale Recht
Israels Besatzungspolitik ist rechtswidrig. Seit ca. 100 Jahren ist die Besiedlung der Groß-Region „zwischen Fluss und Meer“ ein explosives Thema. In dieser historischen Sichtweise ist der Hamas-Terror-Überfall vom 7. Oktober 2023 mit ca. 1200 grauenhaft Getöteten und weiteren Entführten sowohl historisch einzigartig – als gleichzeitig auch einzuordnen in viel zu viele widerliche und unmenschliche Schrecklichkeiten auf beiden Seiten. Die Bezeichnung Terror-Überfall wird nicht von allen Stimmen akzeptiert, denn die von Israel bevorzugte Bezeichnung ist Krieg: „Die Hamas hat einen neuen Gazakrieg begonnen.“ Andere Stimmen sprechen vom „Israel-Hamas-Krieg“ bzw. vom „Israel-Hisbollah-Krieg“. Es wurde ein Krieg, als Israels Armee auf den Überfall reagierte. Noch andere Stimmen behaupten, das eigentliche Wesen dieses Konfliktes sei nicht der Krieg, sondern die seit Beginn des 20sten Jahrhunderts praktizierte Landnahme. Seit 1967 überlappen sich in den Besatzungszonen Landnahmen, Vertreibungen, Vernichtungsfeldzüge, Auslöschungen und Zerstörungen, die menschliches Leben dort unmöglich machen. Dadurch sind Gegenreaktionen hervorgerufen worden. Wie in fast allen sich eskalierenden Konflikten sind allerdings Aktion und Reaktion nicht mehr unterscheidbar; alle Versuche, dies zu erreichen, sind in Wahrheit nur Zuschreibungen. Die jüngere Vergangenheit sticht durch laute Entmenschlichungen und beispiellose Drohungen (Israels Finanzminister Bezalel Smotrich spielte am 25. November 2024 mit dem Gedanken, dass ‚die Bevölkerung von Gaza innerhalb von zwei Jahren um die Hälfte reduziert‘ werden könnte.) hervor. Da eine völkerrechtliche Bewertung auch oft „die Absicht“ nachweisen muss, hüten sich die Akteure, Pläne oder Absichten zu äußern, verstecken sich hinter „offiziellen Gründen“ oder sie vertuschen die Gründe.
Die „große Bombennacht“ von Kassel vom 22. auf den 23. Oktober 1943 ist fest im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert. Ein solcher Angriff ist allerdings für Nachgeborene kaum wirklich vorstellbar. Ein Versuch hierzu könnte darauf verweisen, dass in dieser Nacht schätzungsweise 75 bis 95 Tote pro Quadratkilometer zu beklagen waren. Die Israelische Armee (IDF) tötete zwischen dem 8. 10. 2023 und dem 7. 10. 2024 im Zuge ihrer Zerstörungen in Gaza etwa 125 Menschen pro Quadratkilometer.
Nichtsdestotrotz darf Wesentliches zum Verständnis nicht übersehen werden: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag stufte in einem Gutachten im Juli 2024 Israels Politik in den palästinensischen Gebieten als illegal ein und forderte deren Ende. „Israels anhaltende Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten ist unrechtmäßig.“
Ein weiteres, parallel liegendes Urteil des Internationalen Gerichtshofes hat auf eine Klage Südafrikas hin wegen möglicher Verstöße gegen die Völkermordkonvention reagiert und Israel aufgefordert, die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen. Der Gerichtshof äußerte seine klare – auf den vorliegenden Beweisen und den von Israel bereitgestellten Gegenbeweisen beruhende – Auffassung, dass ein Völkermord in Gaza sehr wahrscheinlich sei. Aus diesem Grund entschied sich das Gericht dazu, vorläufige Maßnahmen zu erlassen. Zu diesen sofort seit Juli 2024 gültigen Anordnungen gehört die Einstellung jeglichen Siedlungsbaus in allen besetzten Gebieten. Weiterhin werden alle Staaten der Erde verpflichtet (im Originalwortlaut: „es besteht dringender Bedarf“), sofort alle Waffenlieferungen an Israel einzufrieren. Für diese Pflicht ist schon der Verdacht eines Genozides eine ausreichende Basis.
Der Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) hat im November 2024 Haftbefehle für Benjamin Netanyahu (Ministerpräsident) und Joav Galant (damaliger Verteidigungsminister) erlassen, wegen des begründeten Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 8. Oktober 2023 im Gazastreifen. Damit ist insbesondere das Aushungern der Zivilbevölkerung im Gazastreifen gemeint. Auch gegen Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, als vormals Verantwortlicher in der Hamas-Führung, erging Haftbefehl. Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, genannt Deif, ist im Jahr 2024 von einer israelischen Bombe getötet worden.
5. Deutsche Ausfuhren und Israelische Einfuhren
Tatsächlich ist nicht zu erkennen, dass Deutschland die Waffenlieferungen an Israel eingestellt hätte. Somit bleibt das Konjunktiv: Die internationale Gemeinschaft und sogar jeder Staat für sich könnte mit dem Instrument des kompletten Waffenembargos Einfluss auf Israels Militärmaßnahmen nehmen, welche innerhalb von 365 Tagen unglaubliche 42.000 Tote, 15.000 Menschen mit verlorenen Gliedmaßen und fast 2 Millionen Binnenflüchtlinge in Gaza verursacht hat.
a)
Laut der einschlägigen UN-Statistik, die die israelischen Waffenimporte aus Deutschland in Stückzahlen auflistet, bekam Israel in den letzten Jahren seine hauptsächlichen Lieferungen aus den USA und der Slowakei. Deutschland spielte allerdings bei der Lieferung von Kriegsschiffen (konkret: U-Boote und Korvetten) eine wichtige Rolle. Zu den wichtigsten Kriegswaffen aus Deutschland gehören (neben den Korvetten) die U-Boote der ersten Tranche (Dolphin-II-Klasse) und der zweiten Tranche (die vergrößerte, erweiterte Dakar-Klasse). Das dritte Schiff der Dolphin-Klasse war Mitte 2023 in der Ostsee vor Kiel in der Werfterprobung, dürfte also Ende 2023 ausgeliefert worden sein. Beide Klassen zeichnen sich durch zwei Antriebe aus, ein Dieselaggregat und eine Brennstoffzelle, die außenluftunabhängig arbeitet. Wichtig ist auch, dass sie eine Senkrechtstartvorrichtung besitzen. Letzteres ist eine notwendige Voraussetzung für den Abschuss von ballistischen Nuklearraketen. Der Kaufvertrag über die Lieferung der Dakar-Klassen-Schiffe wurde im Januar 2022 unterschrieben; er umfasst einen Wert von 3 Mrd. Euro. U. a. durch Kompensationsaufträge übernimmt die Bundesrepublik davon den Teilbetrag von ca. 1 Mrd. Euro.

Selbst recherchieren: https://www.unroca.org
Hier eine Übersicht über Israels Importe von 1997 bis 2023.
b)
Laut der einschlägigen EU-Statistik, die die Waffenimporte von Israel (in Euro) auflistet, bekam Israel die Importe aus Deutschland in Wellen. Die Jahre 2014 und 2020 ragen dabei besonders heraus.

Die (Genehmigungen für) Waffenexporte aus Deutschland nach Israel sind im Kalenderjahr 2023 drastisch in die Höhe geschnellt. Gegenüber 2022 hat sich die Summe verzehnfacht und betrug genau 326,5 Mio. €. Im Jahr 2023 wurden nun auch die Rüstungsgüter aus dem „Nicht-Marine-Bereich“ konkreter genannt: Sicherheitsglas, militärische LKW, gepanzerte Fahrzeuge, 3000 Stück tragbare Panzerabwehrwaffen, Panzer-Munition und 500.000 Schuß Maschinengewehrmunition.
c)
Auch die Recherchen der britischen Friedensorganisation Campaign Against Arms Trade (CAAT), die die EU-Statistik noch einmal genauer unter die Lupe nehmen, zeigen, dass Kriegsschiffkäufe überwiegen; die Panzer und Fahrzeuge erreichen zusammen gerade nur ca. ein Viertel der Marine-Werte. CAAT behauptet, dass tatsächlich“ „nur“ Lizenzen exportiert wurden, dass der Kriegsschiffbau dementsprechend nicht auf deutschen Werften geschah. Die unter Punkt a) genannte Information, dass die Werfterprobung des dritten U-Bootes im Jahr 2023 in der Ostsee vor Kiel stattfand, widerspricht der Behauptung von CAAT, es seien nur Lizenzen verkauft worden.

Alle drei Quellen zusammen zeigen eine Reihe von Wiederholungen, m.a.W. sie ergänzen sich sehr gut. Deswegen sind wir überzeugt, dass das Gesamtbild stimmt.